David Carson gilt als einer der einflussreichsten Gestalter der zeitgenössischen Grafik. Bekanntheit erlangte er anfangs der Neunziger Jahre als Layouter der Zeitschriften Musician, Beach Culture sowie Ray Gun. Carson ist bekennender Autodidakt, der sich nie für die klassischen Regeln seines Faches interessiert hat.
Seine Arbeiten polarisieren die Fachwelt; die einen feiern ihn als begnadeten Künstler während er bei vielen gestandenen Berufskollegen auf totale Ablehnung stösst.
Anlässlich der Publikation seines Buches «The rules of graphic design» führte ich mit David Carson ein Gespräch. Im Jahr 2007 eröffnete er gar eine Niederlassung in Zürich, wie das Branchenmagazin persönlich wusste.
Erstpublikation im Tages Anzeiger vom 16. Juni 2006.
Das Interview wurde per E-Mail in englischer Sprache geführt.
David Carson, in Kürze wird ihr neues Buch «The rules of graphic design» erscheinen. Sie gelten als jemand, der sich nie um Regeln gekümmert hat. Weshalb kommen Sie nun dazu, ausgerechnet unter diesem Titel ein Buch zu veröffentlichen?
Ich hatte für mich selbst immer Regeln, nach denen ich arbeitete. Diese sind vielleicht nicht so augenscheinlich oder steif wie diejenigen, die an den Kunstschulen gelernt werden. Jeder Designer muss seine eigenen Regeln finden. Ich habe die traditionellen Gesetze der Gestaltung nie gelernt, habe mich auch nie darum gekümmert. Wichtig ist, das man das tut, was man selber als richtig anerkennt und nicht das, was einem die Lehrer oder Bücher als richtig erklären.
Regeln – speziell im Bereich des Grafikdesigns – haben unter anderem ja auch den Sinn, dass sie ein gemeinsames Verständnis von Inhalt schaffen und somit helfen, dass eine Botschaft verstanden wird.
Wichtig ist, dass man sein Publikum im Auge behält und sich bewusst ist, welche Art von Design es zu sehen gewohnt ist. Wenn man diese Sehgewohnheit als Designer verstehen kann und das Resultat dem Publikum passt, dann hat man seinen Job gut gemacht, dann wird man verstanden werden.
Eine feinsinnige, differenzierte typografische Aussage: Das Plakat für eine Benefizveranstaltung zugunsten von Tsunami-Opfern.
Bild: David Carson
Sie sprechen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit immer wieder vom «Emotional sense», von der emotionalen Ebene im Design. Emotionen sind oft nicht sehr klar oder definierbar.
Ich denke, Design soll subjektiv und intuitiv sein. Man kann in Sachen Design nicht neutral sein, man kann nicht nicht kommunizieren, alles sendet irgendeine Botschaft aus. Die Frage ist nur, ob man die beabsichtigte Botschaft vermittelt.
Die Schweizer Grafik, speziell die Schweizer Typografie ist bekannt für Ihre Zurückhaltung. Die Typografen der «Alten Schule» stellten sich oft ganz in den Dienst des Textes, der Botschaft. Ihr Ziel war weniger, als Gestalter oder Künstler wahrgenommen zu werden, sondern vielmehr, dem Text soviel Aufmerksamkeit wie möglich zu geben. Wird heute die sogenannte Gebrauchsgrafik von den Kreativen nicht zu oft mit Kunst verwechselt?
Natürlich tun sie das, deshalb ist das zeitgenössische Design auch so erfreulich und belebend! Hier in Zürich haben die Designer genau das gemacht: Sie haben Gebrauchsgrafik und Kunst miteinander kombiniert. Der einst verhasste Begriff des Grafikers als Künstler ist wieder lebendig und relevant geworden. Es sind eigentlich nur die grossen Plakatwände, die von den grossen Agenturen bedient werden, welche qualitativ abfallen.
Junge Designer legen heute auch wieder Wert auf reine Typografie und geben ihr mehr Ausdruck als früher. Es ist ziemlich schwierig, die Leute zu einem Sprung in eine graue Bleiwüste zu animieren, egal wie brillant der Text geschrieben sein mag.
Sprechen wir über Regeln. Eine Grundregel für das Arbeiten mit Text ist die Lesbarkeit. In unserer visuellen Welt kämpft quasi ein jeder Text um Aufmerksamkeit. Das Maximieren der Lesbarkeit ist deshalb eine der klassischen Regeln. Sie operieren da oft an der Grenze, manchmal auch darüber.
Natürlich ist Lesbarkeit wichtig! Wie wichtig sie ist, hängt davon ab was man womit sagen möchte. Das Design selber kann unterstützen, was im Text enthalten ist. Nicht länger sind Worte alleine genug. Und überhaupt: Was die Leute lesen wollen, das lesen sie auch.
In der Schweiz ist eine zunehmende Diskussion nach der Qualität von Design und Kunst auszumachen. Wie definieren Sie Qualität im Grafikdesign?
Wichtig ist, ob die Gestaltung zur Zielgruppe, zum Produkt und zur Message passt. Dann auch, ob das Design beim Betrachter eine emotionale Reaktion hervorzurufen vermag.
Als was sehen Sie sich eigentlich, als Grafiker oder als Künstler?
Es gibt viel Grafikdesign, das ich als Kunst bezeichnen würde, einiges sollte man gerahmt an die Wand hängen und es als Kunst betrachten. Manche Leute sagen: Grafikdesign ist nicht Kunst, es ist da, um zu kommunizieren. Diese fehlgeleitete Annahme geht davon aus, dass Kunst nicht kommuniziert. Dabei geht völlig vergessen, dass einige der grössten Leistungen in der Geschichte der Kommunikation von der Kunst her kamen.
Ich denke, die Grenzen zwischen Grafikdesign und Kunst sind fliessend, und das ist gut so. Wenn Gestalter ihre künstlerische Sensibilität nicht einsetzen, dann brauchen wir keine Gestalter; ein Jeder kann sich die notwendige Software kaufen und einen akzeptablen Newsletter oder eine brauchbare Visitenkarte gestalten. Nur wenn ein Designer seine Persönlichkeit anzapft, dann steigt die Qualität der Arbeit und wird zu einem herausragenden, einzigartigen Werk, welches die Kraft hat, die Leute zu berühren.
Seit rund einem Jahr haben Sie in Zürich ein Büro. Wie läuft das Geschäft?
Ich liebe Zürich, speziell schätze ich das hohe Niveau der Grafik, die man tagtäglich sieht. Als ich nach meinem ersten 6-monatigen Aufenthalt in Zürich in mein Haus in den USA zurückkehrte, kam mir dieses ziemlich überladen vor. Ich habe dann eine ganze Menge an Dingen weggeschmissen.
Kurz gesagt. Zürich wirkt auf mich sehr erfrischend.
Meine Projekte kommen von überall auf der Welt her, es geht mir mehr darum, sie in Zürich auszuführen. Ich habe hier meinen überhaupt ersten Auftrag für einen Jahresbericht erhalten. Es war eine neue Herausforderung für mich und sowohl der Kunde wie auch ich sind mit dem Resultat sehr zufrieden.
Wie reagieren Ihre Schweizer Kunden auf Ihre Arbeiten?
Nun, ich habe nicht viele Schweizer Kunden. Ich hoffe, dass dies damit zu tun hat, dass sie nicht wissen, dass ich hier bin. Ich hoffe, dass dies sich ändern wird.
Können Sie uns beschreiben, was für Sie ein typischer Schweizer Kunde ist? Wie würden Sie ihn charakterisieren?
Hmm, ich habe ihn bisher wohl noch nicht getroffen. Ich denke, die kleineren Kunden sind eher bereit für Experimente und Veränderungen. Ich hoffe, dass diese Offenheit auch bei grösseren Agenturen Einzug hält, dass sie Design als eine starke kommunikative Sprache erkennen. Im Kampf um Aufmerksameit ist Grafikdesign wichtiger denn je.
Wie wird der Titel Ihres nächsten Buches lauten?
Hm, eine schwierige Frage. Modernismus, vielleicht?
Plakat für den Dokumentarfilm «Helvetica» des britischen Filmemachers Gary Hustwit.
Bild: David Carson